Predigt zum Wahlsonntag
Liebe Gemeinde, gehört Politik in die Predigt? Soll, darf, muss eine Predigt politisch sein?
Heute sind Europawahlen. Und es geht um große Fragen, der Innenpolitik, der Außenpolitik. Dabei haben wir die Ereignisse der letzten Tage, Wochen, Monate und Jahre im Blick. Den Tod des Polizisten in Mannheim, die antisemitischen Proteste an deutschen Hochschulen, die klimabedingten Überschwemmungen in Süddeutschland und die Dürre in Spanien, den Krieg im Nahen Osten und in Osteuropa, die Wahlen in den USA. In diesen Zeiten haben wir die Wahl, Gott sei Dank haben wir eine Wahl!
Ich frage mich und uns: Wie wehrhaft muss eine Demokratie sein, gegenüber den Feinden von innen und gegenüber den Feinden von außen? Wie wichtig ist es, unseren Staat zu schützen? Können wir es einfach hinnehmen, wenn Parteien Mehrheiten gewinnen, die die Grundlage unseres Staates, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, nicht akzeptieren, die bereit sind, die Würde mancher Menschen mit Füßen zu treten, das Recht zu beugen und Menschen aus dem Land werfen wollen?
Wie wichtig ist es, unseren Staat zu schützen, damit nicht der Stärkere uns überrollt, brauchen wir wieder eine Wehrpflicht, um wehrhaft zu sein? Sollen Fußballclubs mit Rüstungsfirmen werben, weil der Krieg vor unserer Haustüre zu einer neuen Normalität geworden ist?
Und was schätzen wir eigentlich an Europa? Die Freiheit zu reisen, Grenzen ohne Kontrollen, eine gemeinsame Wirtschaft, einen gemeinsamen Blick auch auf Klima und Umwelt? Sind für uns internationale Standards wichtig, und setzen wir auch auf eine Außenpolitik, die die Grenzen und die Menschen gleichermaßen schützt?
Liebe Gemeinde, heute sind Europawahlen, in manchen Regionen auch Kommunalwahlen: wir aber sind heute in der Kirche, im Gottesdienst. Und da frage ich gerne einmal nach: Soll, darf, muss eine Predigt politisch sein?
Umgekehrt wird es nämlich immer wieder auch gemacht: Politik ist religiös. In Deutschland nennen sich einige Parteien christlich. In den USA spielt die Politik nach religiösen Maßstäben, legt fest, wann das Leben beginnt, wer Waffen besitzen darf, um es zu beenden. Ein ehemaliger Präsident stellt sich über das Recht und den Willen des Volkes – und erhebt sich so an eine Gott gleiche Stelle. In Israel und Palästina geht es immer auch um das Land des Gottes, mit dessen Geschichte man sich verbindet und über die Unterstützung Putins durch die orthodoxe Nationalkirche erschrecke ich sehr. Politik bedient sich der Religion. Sollte dann nicht auch Religion politisch sein, zumindest dürfen, vielleicht sogar müssen?
Ich stelle diese Fragen heute, am 9. Juni 2024. Fragen wie diese sind aber alles andere als neu. Auch im Buch Jeremia wurden diese Fragen bereits gestellt. In einem Abschnitt, der irgendwie zusammengesetzt, zusammengewürfelt, fortgeschrieben wurde. Er kommentiert sich selber, es gibt unterschiedliche Überlieferungen, fünfhundert Jahre nach dem ersten Gerüst des Textes lebt er immer noch. Wir haben in hebräischen und griechischen Textfunden ganz unterschiedliche Versionen, immer wieder werden Kommentare eingefügt, verändern Schreiber Worte, damit das, was da steht, mit der eigenen Meinung übereinstimmt. Wir haben hier einen lebendigen und hochpolitischen Text, der uns heute aufhorchen lässt.
Gleich zu Beginn redet er – im Namen Gottes. Er redet – und wir wissen nicht einmal genau, wer es ist, der hier redet. Er weist sich nicht aus, legitimiert sich nicht. Darf er, darf dieser politische Predigttext, darf er das überhaupt, so reden, denken, urteilen? Hören wir einmal!
„So spricht der Herr Zebaoth: Hört nicht auf die Worte anderer Propheten! Mit ihrem prophetischen Gerede täuschen sie euch. Sie verkündigen euch, was ihnen ihr Herz einflüstert. Nichts davon kommt aus dem Mund Gottes. Sie beruhigen diejenigen, die mich verachten, und behaupten immer und immer wieder: „Der Herr hat gesprochen: Ihr werdet in Frieden und Sicherheit leben.“ Auch für jeden, der nur seinem sturen Herzen folgt, haben sie dieselbe Botschaft: „Es wird kein Unheil über euch kommen.“
So weit einmal: es geht um Fake News, falsche Behauptungen, um Menschen, die im Namen Gottes reden, in seinem Namen Politik machen, und den Menschen Frieden und Sicherheit versprechen.
In meinen Ohren gibt es heute auch falsche Propheten. Sie rufen uns zu: „Macht die Grenzen zu. Ausländer raus, Deutschland den Deutschen.“ Das rufen sie, ganz ungeschützt, selbst im Urlaub. Sie behauten: dann wird es besser.
Aber das sind falsche Botschaften, Fake News. Es ist ihnen egal, dass ohne Zuwanderung in Deutschland nichts mehr funktioniert: keine Pflege, keine Ernte, kein Krankenhaus, keine Fußballnationalmannschaft. Es ist ihnen egal: Sie behaupten einfach: Wenn wir ein christliches Volk bleiben, keine Moscheen bauen lassen und unsere Grenzen schließen, dann geht es uns besser. Es ist ihnen egal, und so behaupten sie einfach: „Hören wir auf, Waffen zu produzieren und in die Ukraine zu entsenden. Gebt Putin halt die Krim und das besetzte Land, dann können wir wieder billiges Öl und billiges Gas kaufen. Uns wird nichts passieren.“
Im Buch des Propheten Jeremia werden solche Botschaften als Fake News, als falsche Botschaften enttarnt. Wer so spricht, hat Gott nicht auf seiner Seite, in dessen Boot sitzt Gott nicht. Wer einfach Gutes verheißt, der macht es sich zu einfach. Aber das wollen Menschen gerne hören: „Alles wird gut. Ich weiß, wie es geht. Vertraue mir. Wir schaffen das.“
Ich finde: Wir sollten uns immer wieder auch an die Krisen unserer letzten Jahre erinnern: An die Coronapandemie 2020. An die Verstopfung der Logistikketten durch die Evergiven im Suezkanal 2021. An den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine 2022. An den Überfall der Hamas auf Israel 2023. Und jetzt an die extremen Niederschläge 2024. Und natürlich an die Wahlen in den USA, an den Krieg im Sudan, an die Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan.
„Alles wird gut. Ich weiß, wie es geht. Vertrau mir. Wir schaffen das.“
Wahlplakate hängen überall, Wahlwerbespots kommen im Fernsehen. Manche geben vor, sie wüssten, wie die Welt zu retten sei. Wagenknechtmentalität und Höckegesicht.
Im Buch Jeremia hält einer dagegen. Das ist alles falsch, gelogen, unwahr. Das haben wir schon gehört, vernommen. Und dann fährt er fort:
Wer von ihnen stand vor Gott? Wer gehört zum Kreis seiner Vertrauten, sodass er sein Wort sehen und hören kann?
Wer hat auf Gottes Wort geachtet? Wer hat es wirklich gehört?
Und dann verweist der Schreiber auf seine Wirklichkeit:
Seht her: Der Sturmwind bricht los. Die Wut des Herrn wirbelt alles durcheinander und braust über die Köpfe der Frevler hinweg. Der Zorn des Herrn wird nicht aufhören zu wüten,
bis er alles vollbracht hat – bis er getan hat, was sich der Herr in seinem Herzen vorgenommen hat. Wenn es so weit ist, werdet ihr das alles begreifen.
Die Welt ist in Unordnung, sie ist aus den Fugen geraten. Es ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Es gibt Fluten, Kriege, Krankheiten. Macht doch eure Augen auf – dann könnt ihr den Lügenpropheten nicht glauben, die euch einfach das Blaue vom Himmel versprechen.
Und im Namen Gottes redet er weiter:
Ich habe diese Propheten nicht geschickt, sie aber kommen trotzdem angelaufen. Ich habe nicht zu ihnen gesprochen,
sie aber reden trotzdem prophetisch. Sie standen nicht im Kreis meiner Vertrauten. Sonst könnten sie meinem Volk meine Worte verkünden. sonst würden sie es auf den rechten Weg zurückbringen und die Leute davon abbringen, Böses zu tun.
Es geht um einen Streit zwischen Menschen, die im Namen Gottes reden. Wer nimmt den Namen Gott zurecht in den Mund, wer weiß wirklich, auf welche Seite Gott sich schlägt, was eine gute Politik wäre, im Innen und im Außen? Und wer ist wirklich in der Lage, böse Menschen zur Umkehr zu bewegen, dem Frieden den Weg zu bereiten, Armut zu verhindern, Arbeit zu schaffen, das Klima zu schützen?
Wir haben die Wahl, wem wir glauben, wem wir vertrauen, wem wir unser Ohr und unsere Stimme schenken. Es gibt falsche Alternativen und Lügenpropheten. Auch heute. Sie stehen zur Wahl, wir sollten sie nicht wählen.
Aber jetzt sollten wir zum Schluss, zum Ende kommen. Die Bibel tut es eindrucksvoll – im Namen Gottes.
„Bin ich nur ein Gott, der den Menschen nahe ist? Oder bin ich nicht auch ein Gott, der fern ist? Bin nicht ich es, der Himmel und Erde erfüllt?“
Gott selbst macht es den Menschen nicht zu leicht, nicht zu einfach! Gott nimmt uns in die Verantwortung, für gut und böse, für unser Zusammenleben, für unsere Welt. Glaube ist immer auch politisch!
Und doch ist es für mich es eine Gratwanderung: Politisch predigen – religiöse Politik. Seid euch nicht zu sicher, wenn ihr beides in Verbindung bringt! Trennt nicht Gott und Welt, Politik und Glaube, Gottes Leitung und menschliche Führung! Das gilt ganz besonders auch in diesen Tagen und Wochen. 90 Jahre, nachdem die Barmer Theologische Erklärung veröffentlicht wurde, sollten wir es wissen. Damals, 1934, gab es keine Wahl mehr. Da wurde alles gleichgeschaltet und ausgerichtet. Politik, die selber zur Religion wird, Politiker, die sich gottgleich als Führer darstellen, das führt ins Verderben. Das haben Pfarrer und Theologen schon 1934 gesehen. Und klar formuliert:
Gott hat den Anspruch auf das ganze Leben, auch auf unser ganzes Leben. Es gibt keinen Bereich, der ohne Gott ist und bleibt. Das ist das eine. Und das andere ist: in keinem Bereich unseres Lebens haben wir Gott einfach auf unserer Seite, ist Gott einfach in unserem Boot, können wir über Gott verfügen.
Unser Leben ist und bleibt ein Ringen, ein Suchen, ein Fragen: Was ist, o Gott, für mich, für uns, für unsere Beziehungen und in unseren Familien, für unsere Stadt, unser Land, unseren Kontinent wirklich das Beste?
Heute, am in der Kirche, gibt es keine einfache Antwort – nur einen klaren Auftrag. An euch, an uns: Lasst diese Welt nicht gottlos werden, werdet selber Gott nicht los, in all dem, was ihr denkt und tut und lasst und redet. Gott sei mit euch, sucht das Gespräch mit ihm, fragt ihn, was für euch und euer Leben richtig ist. Fragt euch auch, was würde Gott wohl wählen, kommende Woche, wen würde Gott wählen, wem würde er die Zukunft seiner Menschen, seiner Kirche, seines Landes, seiner Erde anvertrauen?
Und seid euch gewiss: Gott ist euch nahe. Gott ist euch ferne. Gott verspricht Zeiten des Friedens. Gott verspricht auch Zeiten des Krieges. Es ist nicht einfach mit Gott, aber es ist einfacher, als ohne Gott. Denn er hat uns verheißen: Der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne, unseren Verstand und unsere Gefühle, in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.