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Zur Lichtgestalt werden – Feierabend komm 17.1.

| Falk Schöller |

Psalm  123 – Ich rechne mit Gott

Herr, ich rechne mit dir,

obwohl ich manchmal selber nicht glaube,

dass du für mich da bist.

Ich bin wie ein verlassenes Kind im Waisenhaus:

Man sagt ihm: Du hast keinen Vater und keine Mutter!“,

und doch bleibt es auf der Suche nach seinen Eltern.

Ich bin wie viele junge Leute:

Sie werden enttäuscht in dem, was man ‚Liebe‘ nennt,

und doch hören sie nicht auf,

auf die echte Liebe zu hoffen.

So vertraue ich dir:

Den ich nichtsehe, als sähe ich dich;

Den ich nicht höre, als sprächst du zu mir;

Den ich nicht erkenne – du doch spüre ich deine Nähe.

Herr, ich verlange keine Wunder,

aber gib mir die Augen, die in den Alltäglichkeiten

dein Wirken erkennen;

gib mir Gedanken, die das Alltagsgeschehen

als dein Handeln erfahren;

gib mir den Sinn, hinter den Oberflächlichkeiten

Sinn und Sinnlosigkeit zu unterscheiden.

Denn ohne deine Hilfe

kann ich nicht bestehen –

gegen den Spott der Kollegen,

gegen die Stimmung von Freundinnen und Freunden,

gegen die ‚Gott ist doch tot‘ – Meinung

und gegen das überlegene Lächeln derer, die sagen:

‚Moderne Menschen brauchen keinen Gott!‘

Gegen diese Gottlosigkeiten schütze mich.

Du drückst mich nicht nieder,

du richtest mich auf.

Gebet

Alles ist eitel, nichtig, leer.

So fühlt es sich oft an.

In meinem Leben.

In unserem Leben.

Alles ist eitel, nichtig, leer.

Wenn es sich so anfühlt,

scheint es, als hätten wir keine Wahl.

Als wäre es immer so. Eitel und nichtig und leer.

Alles ist eitel, nichtig, leer.

Das ist gottlos.

Und ja, vieles ist gottlos.

Und ja viele sind gottlos.

Sind ihren Gott, los geworden.

Alles ist eitel, nichtig, leer.

So hoffnungslos, weil so gottlos, ist es trostlos.

Doch wir suchen nach Hoffnung, nach Trost.

Und so suchen wir dich, Gott.

Nichts muss eitel, nichtig, leer bleiben.

Wenn es von dir, Gott, beseelt wird,

wenn wir von dir, Gott, begeistert werden,

wenn du, Gott, als Licht in unser Leben scheinst,

wenn du, Gott, mit einem Licht unser Leben bescheinst.

Ach, komm, Gott, komm mit deinem Licht,

mit einer Fülle, mit deiner Kraft.

Und gib unserem Leben Richtung und unserem Handeln Sinn.

Ach, Gott, du bist ja schon gekommen,

in Jesus Christus,

Licht der Welt,

Licht des Lebens,

mein Licht.

Gekommen. Um zu bleiben.

Heute und in Ewigkeit.

Amen.

Zur Lichtgestalt werden

Erzählen will ich.

Von einer Lichtgestalt.

Ich habe sie gesehen.

Zuerst aber nicht erkannt.

Sie hat einen Namen.

Tatjana.

Tatjana saß in einem Auto. In Namibia.

Vorne. Wir kamen dazu. Elke und ich.

Es ging los. Tiere beobachten.

Wir fuhren durch die Landschaft.

Sahen Zebras. Und Antilopen.

Und Adler. Und Schildkröten.

Dann hielten wir an. Alle stiegen aus.

Tatjana nicht.

Sie kann nicht alleine aussteigen.

Infantile Cerebralparese, ICP.

Ihr Diagnose.

Ihre Prognose am Lebensanfang. Schlecht.

Tatjana ist keine Lichtgestalt.

Im Gegenteil.

Sie überschattet vieles, was sich ihre Eltern wohl so erhofft haben.

Aber Tatjana kämpft.

Auf dem Internat in Südafrika.

Alleine. Behindert. In fremdem Land. Weit weg.

Sie ist einsam. Will zurück. Kommt zurück.

Will zurück zu den Eltern. Kommt zurück ins Leben.

Ihr Lebenswille: stark.

Ihr Selbstvertrauen: stärker.

Ihr Gottvertrauen: am stärksten.

Sie weiß: ich schaffe es nicht aus eigener Kraft.

Sie weiß auch: ohne eigene Kraft schaffe ich nichts.

Und so beißt sie sich durch.

Durch die Schule.

Durch das Studium.

Mit und trotz ihrer Spastik.

Mit und trotz ihren Einschränkungen.

Sie schafft, so lange, bis sie es geschafft hat.

Tatjana weiß, was sie will.

Anderen helfen. Mitten dabei sein. Das Leben genießen.

Wir lernen sie kennen.

Als sie das Leben genießt.

Vorne dabei. Im Auto.

Sie sieht sie auch.

Die Zebras. Die Antilopen. Die Adler. Die Schildkröten.

Sie sieht sie, wie wir, uns ist erfüllt.

Wir sehen das auch.

Aber wir sehen auch sie.

Und werden erfüllt.

Von ihrer Stärke, ihrer Kraft, ihrem Lebensmut.

Wir staunen:

Sie arbeitet als Förderschullehrerin in der internationalen deutschen Schule in Windhoek. Steht auf eigenen Beinen.

Sie wohnt in einem Altenheim in Windhoek. Bekommt die Hilfe, die sie braucht.

Sie robbt auf Knien durch das Klassenzimmer. Weil die Zimmer für Rollstühle zu eng sind.

Sie kümmert sich um die Schwachen. Die offensichtlich Schwächeren. Zuerst.

Und dann kümmert sie sich auch um die Starken. Die offensichtlich Stärkeren. Sieht auch deren Schwächen. Sieht auch sie an.

Selten hat mich ein Mensch so in den Bann genommen wie Tatjana.

Wie sie, trotz all dem, was das Leben ihr zugemutet hat, das Leben bewältigt.

Wie sie, trotz ihrer Einschränkung, anderen hilft, sich zu entfalten.

Tatjana ist eine Entwicklungshelferin.

In Windhoek ist eine Pfarrstelle frei. Das hatte ich gelesen.

Tatjana hätte gerne wieder einen Pfarrer.

Der mit ihnen in der Schule Gottesdienst feiert.
Der feiert, dass Gott ein Gott des Lebens ist.

Der deutlich macht: Gott ist das Licht.

Und das Licht scheint in der Finsternis.

Die Finsternis hat es nicht begriffen.

Aber Tatjana. Gott ist ihr Licht. Und ihre Kraft. Und ihr Mut.

Sie wird anderen zum Licht, mit ihrer Kraft, ihrem Mut.

Wir haben Tatjana aus dem Auto geholfen.

Ehrlich gesagt: viel Hilfe war nicht vonnöten.

Wir saßen dann da, vor dem Auto. Schauten auf den Sonnenuntergang.

Sie ein Gin Tonic. Wir ein Weißwein.

Das Leben ist schön.

Weil das Licht scheint.

Auch in der Finsternis.

Das haben wir begriffen.

Danke. Tatjana.

Wir bleiben in Kontakt.

Versprochen.

Und der Friede Gottes, höher als alle menschliche Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne.

In Jesus Christus.
Unserem Herrn.

Amen.