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Autor: satorrotas

Nachlese zum Weihnachtsoratorium

Geistlicher Impuls für den RC Düsseldorf

Pfarrer Falk Schöller, 15. Dezember 2024

Liebe rotarische Familie,
nach Gesprächen, nach gemeinsamen Erlebnissen, nach Beratungen verfasse ich gelegentlich
Nachlesen. In einem Mail verdichte ich meine Eindrücke – verdichten im doppelten Sinn. Ich
komprimiere, fasse zusammen, und ich verdichte, fasse in Sprache, in Worte, was mir nachgängig als
besonders und als wichtig in Erinnerung geblieben ist.
Bei Rotary ist das mein Amt, als Schriftführer. Aber es ist auch mein Beruf, als Schriftgelehrter. Ich
habe einst gelernt, das nachzulesen, was andere geschrieben haben, und auch nachzuspüren,
welche Erlebnisse und Erfahrungen dem Geschriebenen zugrunde liegen. Um daraufhin dies neu in
Worte zu fassen, in eigene Worte – eine Übersetzung und Übertragung. Manches Mal geschieht dies
auf der Kanzel, dann lese ich meine Auslegung vor und trage so den alten Text in neuer Form zu
Menschen, die hoffentlich zuhören. Manches Mal geschieht dies in Protokollen oder Mails, dann
lesen Menschen, die hoffentlich aufmerken und verstehen.
Heute will ich eine kleine Nachlese wagen zu dem, was wir eben gehört haben. Zum
Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Er hat verdichtet und vertont, was ihm beim
Nachlesen und Nachspüren der Weihnachtsgeschichte wichtig geworden ist. Vor knapp dreihundert
Jahren ist das WO entstanden, in gut dreihundert Kilometer Luftlinie ist es 1734 in Leipzig
uraufgeführt worden. Eindrucksvoll dazu auch der neue ARD-Spielfilm, Bach – ein
Weihnachtswunder, diesen Mittwoch, 20.15 Uhr in der ARD und schon jetzt und jederzeit in der
Mediathek.
Doch zurück zum Gehörten, Erlebten, Erspürten eben in der Johanneskirche.
Was ist unserer Erinnerung würdig – was erinnere ich, in jedem Fall?
Um Menschen in ihrem Alltag zu unterbrechen – die kürzeste Definition von Religion ist nach
Johann Baptist Metz Unterbrechung – um eine solche Unterbrechung zu erreichen und unsere
Aufmerksamkeit zu gewinnen, braucht es Pauken und Trompeten. Dem Anfang des
Weihnachtsoratoriums liegt ein besonderer Zauber inne. Paukenschläge und Trompetenfanfaren
sind die Ouvertüre, der Auftakt, mit dem wir eingestimmt werden. Um sofort aufgefordert werden,
sich ganz und gar auf das Geheimnis der Weihnacht einzulassen. Jauchzet. Frohlocket. Auf. Preist die
Tage, Rühmt, was heute der Höchste getan.
Das entscheidende Wort dabei ist „heute“. Heute ist Weihnachten. Gottes Handeln ist kein
vergangenes Geschehen, sondern ganz und gar gegenwärtig. Heute, heutzutage, handelt Gott hier
an dir. „Lasst das Zagen. Verbannt die Klagen.“ So stimmt Weihnachten. So stimmt uns
Weihnachten. Frohlocken. Das ist Freude in ihrer unübertrefflich gesteigerten Form. Und dies wird
wieder und wieder wiederholt. Das einmalige Geschehen in Bethlehem wird wieder und wieder in
unsere Gegenwart, in unser Leben, in unsere Gestimmtheit geholt. „Tönet ihr Pauken. Erschallet ihr
Trompeten.“ Lasst euch unterbrechen!
So weit der Auftakt. So weit einmal vorab. Schon vor Weihnachten drang heute an unser Ohr, wie
wir Weihnachten feiern. Der Heilige Abend, die Heilige Nacht – jetzt sind sie eingestimmt auf das
Christfest. Für uns, die wir des Wartens unfähig geworden sind, wird es vorweihnachtlich
weihnachtlich. Unterbrechen wir also, um zu frohlocken. Weihnachtseros pur.
Auf diesen Paukenschlag zu Beginn folgt ein Rezitativ. Bach erinnert an die biblische Geschichte,
setzt sie nicht als bekannt voraus, sondern ruft sie in Erinnerung. Solche Erinnerung ist notwendig,
gerade wenn der geistige Grundwasserspiegel sinkt und die Grundlage des Glaubens in
Vergessenheit zu geraten droht. „Es begab sich aber zu der Zeit.“
Nun sind wir also wachgerüttelt und erinnert. Was hat der Höchste getan. Aber was hat er uns
getan? Es folgt die erste Arie kommt. Arien sind im Weihnachtsoratorium die Momente der
Innerlichkeit, des Nachklingens und Nachspürens. Das äußere Geschehen wird ins innere Erleben
verlagert, hineingezogen. Eine Übersetzung, Überführung, Übertragung vom Ohr ins Herz. „Bereite
dich, den Liebsten bald bei dir zu sehen.“ Das ist ein Liebeslied. „Noch ist Gott nicht bei dir
angekommen, noch bist du dazu nicht bereit.“ Das weiß Bach. Er kennt uns. Und er weiß auch, dass
nur die Liebe stark genug ist, um uns wirklich zu verändern. Ein Liebeslied erklingt also, dringt an
unser Ohr. Begleitet von der Oboe d’amore. Bereite dich vor – ein innerliches, intimes, zärtliches,
liebliches Geschehen. „Bereite dich. Eile dich. Deine Wangen müssen heute viel schöner prangen.“
Bach beschreibt die Liebe zu Gott als eine echte, erfahrbare, persönliche Liebe. Glaube ist eine
Herzensangelegenheit, zuallererst. Gott ist Person – wird Mensch, und kommt so aus dem
abstrakten einer höheren Macht („der Höchste“) in ein konkretes Gegenüber („den Liebsten“). Es
geht, um es in frommer Sprache zu fassen, um die persönliche Beziehung zu Jesus, dem Christus.
Der für mich, mit mir, um mich ist, in guten wie in schlechten Tagen. Das Weihnachtoratorium ist
wie eine Einladung zum Hochzeitsfest, zu meiner Hochzeit mit Jesus. Das klingt für heutige Ohren
seltsam, romantisch, idealistisch – aber so bekommt der Glaube einen eigenen Platz, ist nicht Moral
oder Verstand, sondern eine eigene Provinz im Gemüte. (F.D.E. Schleiermacher)
Doch Bach weiß auch, dass wir als Einzelne nicht nur gefordert, sondern überfordert wären, würde
Weihnachten nur ein privates, individuelles Fest sein. Glaube geht nur in Gemeinschaft. Deswegen
folgt auf das intime Du der Liebesarie das stimmungs- und stimmenvolle Wir der Gemeinde, der
Choral. „Wie soll ich dich empfangen? Wie begegne ich dir?“ Wir sind alleine nicht in der Lage, das
Weihnachtsgeheimnis zu erfassen. Und so erhebt sich der Gemeindechoral, der volle Klang der
Gemeinschaft. Aber nicht in Selbstwirksamkeitsüberzeugung, sondern im gemeinsamen Fragen,
mehr noch im gemeinsamen Bitten. An Weihnachten erleuchtet zu werden, von Gottes Ankunft
mitten unter uns berührt zu werden – das ist nicht menschliche Möglichkeit, sondern liegt allein in
Gottes Hand. „O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei, damit was dich ergötze, mir kund und
wissend sei.“ Gemeinsam zu bitten, dass Gott mit seiner Liebe, seinem Frieden, seiner Schönheit
unter uns ist, dazu singt die Gemeinde gemeinsam den Choral. Und alle stimmen ein, in die
vertraute Melodie.
Die vertraute Melodie ist dieselbe, auf die „O Haupt voll Blut und Wunden“ gesungen wurde. Krippe
und Kreuz gehören zusammen. Weihnachten, Karfreitag und Ostern sind untrennbar ein und
dasselbe Geschehen. So hat auch die düstere Seite des Lebens, der conditio humana, ihren Platz,
klingt an. Es ist nicht naive Glückseligkeit, eine Weltflucht, sondern eine gereifte Freude, Folge von
Gottes Weltsucht: Gott kommt zu uns auf diese Welt, so wie sie ist. Göttlicher Realismus führt zu
menschlichem Idealismus: eine andere Welt ist möglich.
Lohnend wäre nun ein Durchgang durch da ganze Weihnachtsoratorium, doch das würde eine
verdichtete und verdichtende Nachlese sprengen. Es sind ja noch ein paar Tage bis zum Heiligen
Abend – an Stunden und Tagen mangelt es nicht, dass wir selber nachlesen, was wir gehört haben.
Um dann, wenn es so weit ist, in das Jauchzet, frohlocket erneut einzustimmen.
Ein letzter Gedanke sei mir noch erlaubt. Ein kleiner, fast unscheinbarer Einschub in einem Rezitativ
aus dem fünften Teil, gedacht für den Sonntag nach Neujahr, sei für das neue Jahr uns mitgegeben,
auf dass es uns das ganze Jahr trage.

„Wohl euch, die ihr dies Licht gesehen.
Es ist zu eurem Heil geschehen.
Mein Heiland, du, du bist das Licht,
das auch den Heiden scheinen sollen,
und sie, sie kennen dich noch nicht,
als sie dich schon verehren wollen.
Wie hell, wie klar muss nicht dein Schein,
geliebter Jesu, sein!“

Es ist uns an Weihnachten eine Wohltat geschehen. Zu unserem Heil. Heil meint, als Übersetzung
des hebräischen Schalom, eine umfassende Wohlordnung, ein alles umspannender Friede, der
Menschen und Tieren, der ganzen Schöpfung gilt. Und der auch in all unsere Beziehungen
einstrahlt, in die Familien- und Freundeskreise. Ein Friede, der aller Welt gilt. Das Geheimnis von
Weihnachten erschließt sich dem, der es universal denkt. Nicht als etwas, das bloß auf die eigene
Konfession, das eigene Bekennen, auf die eigene Religion, die eigenen Wurzeln, zurückweist und bei
sich und den Seinen bleibt. Das Gegenteil ist wahr: Das Geheimnis, dass Gott Mensch wird, um uns
und alle zu erlösen, um wirklich allen Menschen und Geschöpfen den Frieden, den Schalom zu
bringen, ist universal, gilt dem ganzen Universum.
Im Namen Gottes also: Friede mit dir. Friede mit euch. Friede allen, allerzeiten und allerorten. Ein
solcher Glaube ist keine Engführung, sondern eine Führung in die Weite, in den Horizont des
offenen Himmels. Das haben wir gehört. Wollen wir es glauben. Um dann das Glück in der höchsten
Form zu erleben: Jauchzet! Frohlocket! Auf preiset die Tage. In diesem Sinne also, so sei es. Mit
einem Wort: Amen.
Pfarrer Falk Schöller

Barmherzig wie Nikolaus

Impuls zum 6. Dezember – barmherzig wie Nikolaus

Haben Sie etwas geerbt? Geld oder Gut? Güter und Güte?
Wenn sie etwas geerbt haben, dann meistens beides.
Materie, Materielles. Ein Haus, ein Grundstück. Ein Vermögen.
Aber auch Immaterielles. Das Vermögen, etwas aus sich zu machen.
Talent. Im Griechischen doppeldeutig.
Ein Talent. 60 Kilogramm. Aus Gold oder Silber. Ein Vermögen.
Ein Talent. Eine Begabung. Aus der Gold oder Silber entstehen kann. Ein Vermögen.
Ein Talent ist immer ein Potenzial.
Ich kann etwas daraus machen.
Talent und Talent, materiell und immateriell, gehen sehr oft zusammen.
So sagen es die Sozioökonomen. Die haben das untersucht.
 
Talente zu erben, zu bekommen, zu haben, das hat sich keiner verdient.
Aus seinen Talenten etwas zu machen, das dient anderen.
Aus seinen Talenten nichts zu machen, das dient anderen nicht.
 
Keine Talente zu erben, nicht zu bekommen, nichts zu haben, das hat keiner verdient.
Aber das gibt es.
Keine Talente zu haben, nichts zu haben und nichts aus sich zu machen.
Das gibt es. Leider.
 
Von einer ganz talentfreien Familie will ich erzählen.
Sie hat nichts. Und sie kommt zu nichts.
Das Leben ist hart. Das Klima ist hart.
Trocken geblieben ist der Boden. Dürre Zeiten.
Trocken geblieben ist der Verstand. Dürre Zeiten.
Vor lauter Dürre haben viele ihren Dienst eingestellt.
Landwirte. Lehrer.
Das Leben verdorrt.
Die Familie hat leider kein Talent, etwas aus dieser Situation zu machen.
Die Familie hat leider keine Talente, um sich aus dem Staub zu machen.
Und so bleiben sie. Not gedrungen. Ein Vater, eine Mutter, drei Töchter.
 
Um zu überleben, übergeben sich drei Töchter an einen, der das verkauft, was sie haben. Ihre Körper. So überleben sie. Aber es ist ein Elend.
 
Da kommt einer, der hat viele Talente. Gold und Gut. Er hat, weiß Gott, genug. Er kommt mit einem Schiff, voll beladen. Das Schiff legt in Myra an. Ein Zwischenstopp nur. Er hält an, steigt aus. Und er sieht die Armut, das Elend. Mit seinem Gold kann er sich hier alles kaufen. Mit seinem Gold kann er sich hier alle kaufen. So groß ist das Elend.
 
Er vertraut darauf, dass er aus seinen Talenten etwas machen kann. Dass er genug ist, um aus sich genug zu machen. Und so verzichtet auf die Talente, die er abgeben kann. Auf das Gold. Drei Goldklumpen hat er. Und in einer dunklen Nacht wirft er die Goldklumpen in die Wohnung der armen Familie. Eins, zwei, drei. Nun hat er keine Talente mehr, für die er sich alles kaufen kann, sondern nur noch die, die er entwickeln kann. Er hat verzichtet, alles zu kaufen, was es gibt, Gott sei Dank. Viele Männer, die meisten, hätten es anders gemacht. Aber er kauft nicht, er schenkt.
 
So haben die, die kein Talent hatten, nun Talente. Und können das Leben anders leben. Sie können jetzt etwas aus sich machen. Sie müssen sich nicht länger verkaufen. Sie können sich kaufen, was sie brauchen. Lebensmittel – Mittel zum Leben. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Sondern auch vom Wort, von der Bildung. Und so nutzen sie die Talente, die sie bekommen haben.
 
Der seine Talente so verschenkt hat, das war Nikolaus. So wird es erzählt. Der seine Talente so entwickelt hat, das war Nikolaus. So wird es erzählt.
 
Mit seinen Talenten trägt er dazu bei, dass sich Menschen auf ein gemeinsames Bekenntnis einigen. Streit kommt an ein Ende, Versöhnung wird geschaffen. Mit seinen Talenten trägt er dazu bei, dass Kinder erzogen werden – und beschenkt werden. Er wird Bischof. Leitet Kirche. Leitet sie so, wie Christus es gewollt hat. So wird es erzählt.
 
Am Nikolaustag erzählen wir gelegentlich nicht nur von den süßen Geschenken, sondern auch von den harten Strafen. Da wird gefragt: hast du deine Talente gut gebraucht, hast du einen Blick für andere gehabt. Dein Essen und Trinken geteilt? Deine Türen geöffnet? Dich um Kranke gekümmert? Einsame besucht und eingeladen? Am Nikolaustag wird, ganz alltagspraktisch, in den Blick genommen, worauf Jesus unseren Blick gelenkt hat: haben wir etwas aus dem gemacht, was uns geschenkt wurde? Haben wir etwas aus unseren Talenten gemacht?
 
Wir sind mitten im Advent. In Zeiten, in denen auch sichtbar wird, wie talentfrei so vieles ist und so viele sind. Wenn wir Talente haben, seien es Goldklumpen oder seien es Begabungen, dann sollten wir sie nutzen. Gott will das so.
 
Daran erinnert uns Nikolaus. Heute. Nicht zu verwechseln mit dem Weihnachtsmann. Der will nur unsere Goldklumpen. Für sich. Nikolaus will sie nicht, nicht für sich. Nikolaus hat uns ein Beispiel gegeben. Damit wir geben, was wir haben. Für die Menschen, die Gott geschaffen hat. Für die, die manche arme Teufel nennen. Weil sie einfach kein Talent und keine Talente haben.
 
Im Advent sind sie es, die besonders darauf hoffen, warten, sich sehnen, dass endlich der Himmel aufgeht, ein volles Schiff kommt, dass die Not ein Ende hat. Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins. Bald zwei, drei, vier. Christus steht vor der Tür. Arm und bedürftig. Vor unserer Tür. Amen.
 
Psalm – Wünsche für das Leben
Gott gibt uns Menschen Wegweiser,
wenn wir die Spur verloren.
Öffnen wir nach innen unsre
Augen, unsre Ohren!
 
Gott gibt uns Menschen Nahrung,
wenn wir ausgehungert sind,
wenn Geist und Seele dürsten,
denn er ist uns wohlgesinnt.
 
Gott gibt uns ein Gedächtnis für die
Wege, die wir gingen.
In der Erinn’rung sehen wir
so vieles schon gelingen.
 
Gott lässt und Menschen träumen,
schenkt uns Wünsche für das Leben.
Er wird uns, was wir brauchen, gern
mit vollen Händen geben.
 
Gebet (gemeinsam)
Gott, mit vollen Händen erwarten wir dich.
Je leerer unsere Hände, desto größer unsere Erwartung.
 
Gott, mit hellem Licht erwarten wir dich.
Je dunkler unser Leben, desto leuchtender unsere Hoffnung.
Gott, mit großem Werkzeug erwarten wir dich.
Je mehr wir gefesselt und gefangen sind, desto mächtiger unser Vertrauen.
 
Gott, sei uns gnädig. Und verzeih unsere Ungeduld. In diesen Tagen. Komm. Einfach. Amen.
 
Segen
Keinen Tag soll es geben, da du sagen musst:
Niemand ist da, der mir hilft in meiner Not.
Keinen Tag soll es geben, da du sagen musst:
Niemand ist da, der mich erfüllt mit seinem Trost.
Keinen Tag soll es geben, da du sagen musst:
Niemand ist da, der mich hält in seiner Hand.
Keinen Tag soll es geben, da du sagen musst:
Niemand ist da, der mich leitet und begleitet
Auf allen meinen Wegen –
Tag und Nacht.
Sei gut behütet und beschützt.

Gedanken zum Reformationsfest 2024

Citykirchenpfarrer Falk Schöller

Menschen sind wichtig.
Nicht viele, aber wenige.
Manchmal sogar nur einige wenige.
Sie bestimmen über das Schicksal von Nationen.
So blicken viele gespannt und angespannt in die USA.
Donald Trump oder Kamela Harris.
Mann oder Frau.
Weiß oder People of Colour.
Zweite Wahl oder erste Wahl.
Einheimischer oder Migrant.
Es gibt eine Wahl – in einem zutiefst gespaltenen Land.
Eine Wahl eines Menschen, einer Person.
Ein entweder oder.

Wir leben in einer Zeit, in der einzelne Personen ins Scheinwerferlicht rücken.
Wir konzentrieren und auf die, konzentrieren vieles auf sie.
So wird kompliziertes einfach.
Das geht nicht nur in den USA, das geht auch in Europa.
Von der Leyen. Meloni. Orban.
Selenski. Putin.
Manches Mal machen sogar Personen Parteien.
Die Person ist das Programm.

Das gilt nicht nur für die Politik.
Lindenberg, Grönemeyer, Westernhagen.
Adele, Tylor Swift, Beyoncé.
Das sind Menschen, die ziehen andere millionenfach in ihren Bann.
Andere sind millionenfache Millionäre, unvorstellbar reich.
Jeff Bezos, Elon Musk. Marc Zuckerberg.
Ihr Geld regiert die Welt.

All das ist nicht neu.
Vor dreitausend Jahren regierten in Ägypten die Pharaonen die Welt.
Vor zweitausend Jahren in Rom die Cäsaren.
Aus Menschen wurden Götter, wurden Göttes gemacht.
Sie wurden verehrt, forderten die Verehrung als Gott ein.
Heil oder Unheil hängt an einzelnen Personen.

Wir haben das verstanden.
Der Mensch ist wichtig.
Deutschland sucht schon lange den Superstar
Bauer sucht Frau.
Bei Voice of Germany drehen sich die Stühle und es heißt:
I want you. Ich will dich.
In meinem Team. Mit Haut und Haar.

Um gewollt zu sein, müssen wir viel tun.
Besonders gut singen, besonders gut springen.
Besonders gute Worte haben, besonders gutes Aussehen haben.
Besonders viele Fragen beantworten.
Besonders schnell schwimmen, rennen, laufen.
Dann wird einem Lange die Krone aufgesetzt.
Man ragt aus der Masse heraus, rückt in den Fokus, ist endlich im Blickpunkt.
Man steht oben auf der Treppe, einen Ballon d’or für die besten Fußballer.
Rodri, Kane, Mbappe.
Es ist alles Gold, was glänzt.

Ein wenig wollen wir von diesem Glanz auch abhaben, selbst glänzen.
So entsteht ein Kult um die Person.
Wir können uns dem schwer entziehen.
Fitnessstudios, Beauty Salons, Schönheitskliniken.
Schöner Wohnen und schönes Aussehen.
Ein wenig sollen auch wir glänzen.
Seht her. Das ist im Fokus unseres Selbstauslösers.
Das sind die Höhepunkte unseres Leben.
Der tolle Ort, das gute Essen, die netten Menschen.
Immer geht es um den schönen Schein, das rechte Licht.
Wir wollen einfach auch glänzen, kein Wunder.

Menschen sind Kult.
Manchmal andere, manchmal wir,
Manchmal ferne, manchmal nahe.
Das Image ist wichtig.
Das glänzende Image, das gute Bild.
In das wir andere rücken, in das wir uns selbst rücken.
Und das lassen wir uns etwas kosten.
Wahrlich.

Und wir, hier und heute?
Entziehen wir uns diesem Personenkult?
Oder sind wir gerade als christliche Kirche nicht mittendrin?
Wenn wir gerade heute am Reformationstag eine Person in den Mittelpunkt rücken. Eine, die wir nicht sehen können.
Jesus, den Gekreuzigten.
Christus, den Auferstandenen,
Jesus Christus, den in den Himmel gefahrenen.
Einen, von dem unser Heil abhängt.
Einen, der uns trägt, im Leben und im Sterben.
Einen, der unsere Hoffnung ist.
Jesus Christus.
Mache werfen der Kirche vor, diesen einen vergessen zu haben.
Manche glauben, wir vergessen, Jesus Christus ins Zentrum zu rücken.
Weil wir selbst im Zentrum stehen.
Weil wir uns nur noch um uns selbst kreisen.
Als Einzelne.
Aber auch als Gemeinden und Kirchen.
Weil Fragen nach Gebäuden, Finanzen, Strukturen dazu führen,
nicht mehr auf die Person zu schauen und zu vertrauen,
der wir doch uns zuallererst verdanken:
Jesus Christus.
Wir drehen uns nur noch um uns selbst – und alles dreht sich um Personen. Im Hier und Jetzt. Wenn wir uns das als Tanz vorstellen, so wären alle wie Derwische – sich um sich selbst kreisende Menschen, die irgendwann all das Gefühl für Raum und Zeit, für sich und andere verloren haben. Sie kreisen nur noch um sich selbst, sind sich selbst genug.
Der Reformator Martin Luther nannte das Sünde.
So, im ständigen Kreisen um sich, gewinnt der Mensch nichts.
Er verliert sich.
Und verausgabt sich.
Vor 500 Jahren gehörte dazu, sich und vieles von seinem Hab und Gut auszugeben, um sich selbst zu retten.
„Die Münze in dem Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“
Wir könnten ja mal überlegen,
wofür wir unser Hab und Gut ausgeben,
wofür opfern wir unsere Zeit opfern,
damit wir uns um uns kreisen können?
Wo tanzen wir wie Derwische immerzu im Kreis?

Wir sind heute aber hier,
um nicht wie Derwische zu tanzen,
nicht um die goldenen Kälber unserer Tage,
uns nicht auf falsche Alternativen einzulassen.

Wir sind heute hier, am Reformationstag, damit es nicht heißt:
Jude oder Grieche,
Freier oder Sklave,
Reicher oder Armer,
Mann oder Frau.
Wir sind heute hier, am Reformationstag, weil wir uns erinnern:
Gott will, dass das ganze Leben eine Buße sei
– und damit in Verantwortung vor Gott uns den Menschen gelebt wird.
Wir sind heute hier, weil wir uns nicht freikaufen wollen,
sondern festhalten, feststellen, festmachen wollen:
Wir sind bereits freigekauft.
Von allem.
Im Leben und im Tod.
Durch eine Person:
Jesus Christus.

Der Christenmensch ist ein freier Mensch.
Niemandem untertan.
Niemandem unterworfen.
Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht.
Jedermann untertan.
Jedem Menschen zu Diensten.

Der christliche Glaube ist von Anfang an ein Gegenentwurf.
Gegen die Vergötterung von Menschen.
Gegen die Vergötterung von Macht.
Gegen die Vergötterung von Geld.
Gegen die Vergötterung von höher, schneller, weiter.
Jesus Christ – no Superstar.

Es ist verrückt, was in dieser Welt geschieht.
Wenn Menschen sich darauf wirklich einlassen.
Ein Wunder.
Kinder ohne Familie, ohne Zukunft bekommen eine neue Familie, ein neues Zuhause.
Menschen, die ihre Heimat verloren haben, finden eine neue Heimat.
Sie feiern ihren Glauben in unseren Räumen, unter dem Dach der Kulturen hat ihre Kultur Raum.
Menschen, die auf der Straße leben, finden Unterkunft, bekommen Essen, können sich frisch machen.
Orientierungslose Menschen treffen einen Punkt, an dem sie willkommen sind, sie werden begleitet.
Kranke werden versorgt und gepflegt.
Alte Menschen, dement und alleingelassen, können im Pflegeheim in Würde das Leben beenden.

All das ist alles andere als selbstverständlich.
Es ist Folge davon, dass wir in der Konzentration auf eine Person, Jesus Christus, in jedem anderen Menschen diesen Jesus Christus sehen.
Weil wir, mit einer Handvoll Wasser, einem Bissen Brot, einem Schluck Wein, aus ganz wenig ganz viel bekommen.
Jesus Christus in uns – und in jedem Menschen.
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird.
Nicht Mann oder Frau, nicht Jude oder Grieche, nicht Sklave oder Freier.
Wir sind alle eins in Christus.

Die Reformation hat gewollt, dass jeder Mensch dies selbst versteht, dass dies selbstverständlich ist.
Keine andere Person muss uns dies vermitteln.
Wir sind in der Lage sind, selbst zu lesen und zu verstehen.
Dazu hat Luther die Bibel in seine Muttersprache übersetzt.
Dazu wurden in Luthres Vaterland Schulen gegründet.
Dazu wurden landauf landab Kirchen besucht, ob sie diese gute Botschaft wirklich unter die Menschen bringen.
Der Abstand zwischen „denen da oben und denen da unten“ wurde aufgehoben.
„Es weiß ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche ist.
Nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“
Heilig ist das, was im Alltag geschieht.
Heilig ist das, was vor Ort passiert – wenn Menschen in ihrem Leben auf Gott hören.
Das ist, angesichts des Lärms, den wir um uns und um andere Personen machen, schwer zu hören.
Aber es ist möglich.
Aufzuhören, aufzuhorchen.
„Jesus Christus ist das eine Wort Gottes.“
Dieses eine Wort, diese eine Person ist wichtig.
Und diese ziehen wir dann in unser Leben hinein.
Heil sein und Heil werden hängt daran, dass wir uns diesen Christus anziehen.
Nicht einige wenige, sondern möglichst viele.

So angezogen beginnen wir zu tanzen.
Jetzt aber nicht wie Derwische,
sondern miteinander, füreinander, aufeinander zu.
Im Kindergarten singt und tanzt es,
auf den Jugendfreizeiten und bei den Musicals wird gesungen und gelacht,
Chöre füllen den Raum,
Im Pflegeheim wird im Sitzen getanzt,
und so mancher Freudentanz wird im Krankenhaus aufgeführt,
wenn Menschen wieder gesund werden.

Menschen sind wichtig.
Nicht wenige, sondern alle.
Das ist unsere Wahl.
Das ist das Programm der Wahl.
Nicht unserer Wahl, sondern Gottes Wahl.
Gott hat schon gewählt.
Er hat uns gewählt.
Nicht dich oder mich – sondern dich und mich.
Und daraus folgt:
Nicht alles muss Gold sein, was glänzt.
Wir glänzen, so wie wir sind,
mit unserem Fühlen und Wollen,
unserem Denken, Reden und Handeln.
Wir folgen Gott, der uns gewählt hat.
Das ist der wahre Reichtum und die wahre Macht.
Uns geschenkt in einer Person.
Jesus Christus.
Amen.