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Gedanken zum Reformationsfest 2024

| satorrotas |

Citykirchenpfarrer Falk Schöller

Menschen sind wichtig.
Nicht viele, aber wenige.
Manchmal sogar nur einige wenige.
Sie bestimmen über das Schicksal von Nationen.
So blicken viele gespannt und angespannt in die USA.
Donald Trump oder Kamela Harris.
Mann oder Frau.
Weiß oder People of Colour.
Zweite Wahl oder erste Wahl.
Einheimischer oder Migrant.
Es gibt eine Wahl – in einem zutiefst gespaltenen Land.
Eine Wahl eines Menschen, einer Person.
Ein entweder oder.

Wir leben in einer Zeit, in der einzelne Personen ins Scheinwerferlicht rücken.
Wir konzentrieren und auf die, konzentrieren vieles auf sie.
So wird kompliziertes einfach.
Das geht nicht nur in den USA, das geht auch in Europa.
Von der Leyen. Meloni. Orban.
Selenski. Putin.
Manches Mal machen sogar Personen Parteien.
Die Person ist das Programm.

Das gilt nicht nur für die Politik.
Lindenberg, Grönemeyer, Westernhagen.
Adele, Tylor Swift, Beyoncé.
Das sind Menschen, die ziehen andere millionenfach in ihren Bann.
Andere sind millionenfache Millionäre, unvorstellbar reich.
Jeff Bezos, Elon Musk. Marc Zuckerberg.
Ihr Geld regiert die Welt.

All das ist nicht neu.
Vor dreitausend Jahren regierten in Ägypten die Pharaonen die Welt.
Vor zweitausend Jahren in Rom die Cäsaren.
Aus Menschen wurden Götter, wurden Göttes gemacht.
Sie wurden verehrt, forderten die Verehrung als Gott ein.
Heil oder Unheil hängt an einzelnen Personen.

Wir haben das verstanden.
Der Mensch ist wichtig.
Deutschland sucht schon lange den Superstar
Bauer sucht Frau.
Bei Voice of Germany drehen sich die Stühle und es heißt:
I want you. Ich will dich.
In meinem Team. Mit Haut und Haar.

Um gewollt zu sein, müssen wir viel tun.
Besonders gut singen, besonders gut springen.
Besonders gute Worte haben, besonders gutes Aussehen haben.
Besonders viele Fragen beantworten.
Besonders schnell schwimmen, rennen, laufen.
Dann wird einem Lange die Krone aufgesetzt.
Man ragt aus der Masse heraus, rückt in den Fokus, ist endlich im Blickpunkt.
Man steht oben auf der Treppe, einen Ballon d’or für die besten Fußballer.
Rodri, Kane, Mbappe.
Es ist alles Gold, was glänzt.

Ein wenig wollen wir von diesem Glanz auch abhaben, selbst glänzen.
So entsteht ein Kult um die Person.
Wir können uns dem schwer entziehen.
Fitnessstudios, Beauty Salons, Schönheitskliniken.
Schöner Wohnen und schönes Aussehen.
Ein wenig sollen auch wir glänzen.
Seht her. Das ist im Fokus unseres Selbstauslösers.
Das sind die Höhepunkte unseres Leben.
Der tolle Ort, das gute Essen, die netten Menschen.
Immer geht es um den schönen Schein, das rechte Licht.
Wir wollen einfach auch glänzen, kein Wunder.

Menschen sind Kult.
Manchmal andere, manchmal wir,
Manchmal ferne, manchmal nahe.
Das Image ist wichtig.
Das glänzende Image, das gute Bild.
In das wir andere rücken, in das wir uns selbst rücken.
Und das lassen wir uns etwas kosten.
Wahrlich.

Und wir, hier und heute?
Entziehen wir uns diesem Personenkult?
Oder sind wir gerade als christliche Kirche nicht mittendrin?
Wenn wir gerade heute am Reformationstag eine Person in den Mittelpunkt rücken. Eine, die wir nicht sehen können.
Jesus, den Gekreuzigten.
Christus, den Auferstandenen,
Jesus Christus, den in den Himmel gefahrenen.
Einen, von dem unser Heil abhängt.
Einen, der uns trägt, im Leben und im Sterben.
Einen, der unsere Hoffnung ist.
Jesus Christus.
Mache werfen der Kirche vor, diesen einen vergessen zu haben.
Manche glauben, wir vergessen, Jesus Christus ins Zentrum zu rücken.
Weil wir selbst im Zentrum stehen.
Weil wir uns nur noch um uns selbst kreisen.
Als Einzelne.
Aber auch als Gemeinden und Kirchen.
Weil Fragen nach Gebäuden, Finanzen, Strukturen dazu führen,
nicht mehr auf die Person zu schauen und zu vertrauen,
der wir doch uns zuallererst verdanken:
Jesus Christus.
Wir drehen uns nur noch um uns selbst – und alles dreht sich um Personen. Im Hier und Jetzt. Wenn wir uns das als Tanz vorstellen, so wären alle wie Derwische – sich um sich selbst kreisende Menschen, die irgendwann all das Gefühl für Raum und Zeit, für sich und andere verloren haben. Sie kreisen nur noch um sich selbst, sind sich selbst genug.
Der Reformator Martin Luther nannte das Sünde.
So, im ständigen Kreisen um sich, gewinnt der Mensch nichts.
Er verliert sich.
Und verausgabt sich.
Vor 500 Jahren gehörte dazu, sich und vieles von seinem Hab und Gut auszugeben, um sich selbst zu retten.
„Die Münze in dem Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“
Wir könnten ja mal überlegen,
wofür wir unser Hab und Gut ausgeben,
wofür opfern wir unsere Zeit opfern,
damit wir uns um uns kreisen können?
Wo tanzen wir wie Derwische immerzu im Kreis?

Wir sind heute aber hier,
um nicht wie Derwische zu tanzen,
nicht um die goldenen Kälber unserer Tage,
uns nicht auf falsche Alternativen einzulassen.

Wir sind heute hier, am Reformationstag, damit es nicht heißt:
Jude oder Grieche,
Freier oder Sklave,
Reicher oder Armer,
Mann oder Frau.
Wir sind heute hier, am Reformationstag, weil wir uns erinnern:
Gott will, dass das ganze Leben eine Buße sei
– und damit in Verantwortung vor Gott uns den Menschen gelebt wird.
Wir sind heute hier, weil wir uns nicht freikaufen wollen,
sondern festhalten, feststellen, festmachen wollen:
Wir sind bereits freigekauft.
Von allem.
Im Leben und im Tod.
Durch eine Person:
Jesus Christus.

Der Christenmensch ist ein freier Mensch.
Niemandem untertan.
Niemandem unterworfen.
Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht.
Jedermann untertan.
Jedem Menschen zu Diensten.

Der christliche Glaube ist von Anfang an ein Gegenentwurf.
Gegen die Vergötterung von Menschen.
Gegen die Vergötterung von Macht.
Gegen die Vergötterung von Geld.
Gegen die Vergötterung von höher, schneller, weiter.
Jesus Christ – no Superstar.

Es ist verrückt, was in dieser Welt geschieht.
Wenn Menschen sich darauf wirklich einlassen.
Ein Wunder.
Kinder ohne Familie, ohne Zukunft bekommen eine neue Familie, ein neues Zuhause.
Menschen, die ihre Heimat verloren haben, finden eine neue Heimat.
Sie feiern ihren Glauben in unseren Räumen, unter dem Dach der Kulturen hat ihre Kultur Raum.
Menschen, die auf der Straße leben, finden Unterkunft, bekommen Essen, können sich frisch machen.
Orientierungslose Menschen treffen einen Punkt, an dem sie willkommen sind, sie werden begleitet.
Kranke werden versorgt und gepflegt.
Alte Menschen, dement und alleingelassen, können im Pflegeheim in Würde das Leben beenden.

All das ist alles andere als selbstverständlich.
Es ist Folge davon, dass wir in der Konzentration auf eine Person, Jesus Christus, in jedem anderen Menschen diesen Jesus Christus sehen.
Weil wir, mit einer Handvoll Wasser, einem Bissen Brot, einem Schluck Wein, aus ganz wenig ganz viel bekommen.
Jesus Christus in uns – und in jedem Menschen.
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird.
Nicht Mann oder Frau, nicht Jude oder Grieche, nicht Sklave oder Freier.
Wir sind alle eins in Christus.

Die Reformation hat gewollt, dass jeder Mensch dies selbst versteht, dass dies selbstverständlich ist.
Keine andere Person muss uns dies vermitteln.
Wir sind in der Lage sind, selbst zu lesen und zu verstehen.
Dazu hat Luther die Bibel in seine Muttersprache übersetzt.
Dazu wurden in Luthres Vaterland Schulen gegründet.
Dazu wurden landauf landab Kirchen besucht, ob sie diese gute Botschaft wirklich unter die Menschen bringen.
Der Abstand zwischen „denen da oben und denen da unten“ wurde aufgehoben.
„Es weiß ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche ist.
Nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“
Heilig ist das, was im Alltag geschieht.
Heilig ist das, was vor Ort passiert – wenn Menschen in ihrem Leben auf Gott hören.
Das ist, angesichts des Lärms, den wir um uns und um andere Personen machen, schwer zu hören.
Aber es ist möglich.
Aufzuhören, aufzuhorchen.
„Jesus Christus ist das eine Wort Gottes.“
Dieses eine Wort, diese eine Person ist wichtig.
Und diese ziehen wir dann in unser Leben hinein.
Heil sein und Heil werden hängt daran, dass wir uns diesen Christus anziehen.
Nicht einige wenige, sondern möglichst viele.

So angezogen beginnen wir zu tanzen.
Jetzt aber nicht wie Derwische,
sondern miteinander, füreinander, aufeinander zu.
Im Kindergarten singt und tanzt es,
auf den Jugendfreizeiten und bei den Musicals wird gesungen und gelacht,
Chöre füllen den Raum,
Im Pflegeheim wird im Sitzen getanzt,
und so mancher Freudentanz wird im Krankenhaus aufgeführt,
wenn Menschen wieder gesund werden.

Menschen sind wichtig.
Nicht wenige, sondern alle.
Das ist unsere Wahl.
Das ist das Programm der Wahl.
Nicht unserer Wahl, sondern Gottes Wahl.
Gott hat schon gewählt.
Er hat uns gewählt.
Nicht dich oder mich – sondern dich und mich.
Und daraus folgt:
Nicht alles muss Gold sein, was glänzt.
Wir glänzen, so wie wir sind,
mit unserem Fühlen und Wollen,
unserem Denken, Reden und Handeln.
Wir folgen Gott, der uns gewählt hat.
Das ist der wahre Reichtum und die wahre Macht.
Uns geschenkt in einer Person.
Jesus Christus.
Amen.