Heile! Heile! Segen! – Petrus und Petras pfingstlicher Auftrag
Auf dem Spielplatz sitzen, an einem Samstagmorgen, zwei Omas auf einer Bank. Relativ jung erscheinen mir die Großmütter, die großen Mütter, die an diesem Tag ihre Kinder entlasten und sich um die Enkel kümmern. Vielleicht Mitte, Ende 50, sind sie. Sie haben alle Zeit der Welt, scheint es, sitzen da, im Gespräch, zwei Buggys stehen neben ihnen, im Sand spielen ihre zwei Enkelkinder friedlich miteinander.
Den Namen der einen habe ich im Vorübergehen nicht mitbekommen, aber eine von beiden heißt Petra. Ein typischer Name für eine Frau ihres Alters. Viele Mädchen aus meiner Schulzeit hießen so. Petra, ein Name mit Botschaft, Petra, die Felsin. Geboren in den stürmischen Zeiten der 1960-er Jahre, eine Zeit der Aufbrüche und Umbrüche. „Ich wünsche mir, dass du ein Fels sein wirst, der die Irrungen und Wirrungen des Lebens gut bewältigst.“ Vielleicht war das der Grund, den Namen Petra zu wählen. Vielleicht haben es die Eltern so im Taufgespräch erzählt, damals in einer der vielen neu gebauten Kirchen in einer der vielen Neubausiedlungen, von denen so viele in den Babyboomerzeiten notwendig wurden. Petra, ein starker Name für eine Frau, die stark werden sollte und stark sein musste. Petra, ein Fels in der Brandung des Lebens. Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Manchmal ist ein Name auch ein Auftrag, eine Mission, eine Vision. Petra.
Das Gesicht der Petra hat schon einige Falten, Lachfalten und Sorgenfalten. Das Leben hat seine Spuren hinterlassen, ist nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. „Ich bin stolz auf meine Falten“, hat meine Oma immer gesagt, „denn in den Falten kann sich auch der Schmerz und der Schmutz des Lebens verbergen.“ Ob Petra ihre Falten auch mit einem solchen Stolz trägt wie meine Großmutter?
Petra sitzt, ich wende meinen Blick wieder auf meinen Weg, da ertönt ein spitzer Schrei. Petras Enkel ist hingefallen, die Hände sind leicht aufgeschürft, im Gesicht ist Sand. Er rennt zu Petra, das Weinen geht durch Mark und Bein. Petra dreht sich um, wendet sich dem Kind zu, nimmt es in den Arm und auf den Arm. Streicht den Sand aus dem Gesicht, mit einem Taschentuch und etwas Wasser werden die Hände sauber gemacht. Es ist nicht viel passiert, aber noch ist kein Trost da. Laut schreit ihr Enkel weiter.
In dieses Schreien hinein lässt Petra ihre Stimme erklingen. „Heile! Heile! Segen! Drei Tage Regen, drei Tage Schnee, dann tut’s auch nicht mehr weh.“ Petra lächelt beim Singen, ist ganz zugewandt. Dann pustet sie über Hände und Gesicht, drückt das Kind an sich. Trost und Zuspruch wirken. Aus dem Weinen wird ein Schluchzen, dann ein Staunen. Der Blick auf die Hände – da ist ja gar nichts mehr. Auf den Boden, zurück in den Sand, das Spiel des Lebens geht weiter. Petra geht wieder ins Gespräch. Ich gehe wieder weiter. Als wäre nichts gewesen. Petra. Der Fels.
Doch es ist so vieles gewesen. In einer kleinen Szene. Mit wenigen Worten. Petrus. Der Fels. Er antwortet Jesus. Auf dessen Frage am Straßenrand an die Jünger: Wer sagt ihr, dass ich sei. „Du bist der Messias, Sohn des lebendigen Gottes.“ Mit wenigen Worten Klarheit. Auf den Punkt gebracht. Jesus ist bewegt: „Selig bist du, Simon. Ich sage dir: du bist Petrus. Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, die Tore des Totenreichs werden sie nicht überwältigen. Ich gebe dir die Schlüssel des Himmelreichs: was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein. Was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Und Jesus gebot seinen Jüngern niemandem zu sagen, dass er der Messias sei.
Und dann ziehen die Jünger weiter, nach diesem kurzen Innehalten. Es scheint, als wäre nichts geschehen. Und doch ist so vieles geschehen. Petrus. Der Fels. Der die Kraft hat zu binden und zu lösen. Auf den Jesus seine Kirche baut.
Petrus wird in seinem Leben noch vieles zu lösen und zu binden haben. Eine große Aufgabe. Nach dem Tod Jesu muss er zusammenbinden. Zusammenhalt schaffen, Gemeinschaft bauen. Und er muss den Knoten lösen: Jesus ist tot. Für alle sichtbar. Jesus ist auferstanden. Im Glauben zu erkennen. Nach der Himmelfahrt ist er nicht mehr da. Petrus muss das Geheimnis lösen, wie Kirche jetzt gedacht, gemacht, gebaut werden kann. „Heile! Heile! Segen! Drei Tage Regen. Drei Tage Schnee. Dann tut’s auch nicht mehr weh!“ Am dritten Tage auferstanden von den Toten. Aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes. Wird Recht sprechen über Lebende und Tote. Petrus. Der Fels. Petrus geht ins Gespräch. Nichts ist wie vorher. Denn Segen, Shalom, Hoffnung ist in der Welt. Du bist der Messias, der Christus, der Sohn Gottes. „Heile, heile, mit deinem Segen, die kleinen und großen Wunden dieser Welt.“ Petrus. Der Fels. Das Spiel des Lebens geht weiter.
Petra auf der Bank. Petrus am Straßenrand. Beide lösen den Schmerz, den Schrei auf. Bringen Heil und Segen in ihre Welt. Kinder und Kirche. Petra und Petrus finden das richtige Wort, treffen den richtigen Ton, haben Vertrauen in das Leben, Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. So einfach ist es nicht. Aber Petrus und Petra helfen, dass das Krönchen wieder sitzt. Bei dem Menschen, der hingefallen ist.
Manches Mal ist es nur ein kleines Hinfallen. Im Sandkasten, wo das Leben nur ein Spiel ist. Oft aber ist es ein großes Hinfallen. Im Leben, wo der Sand ins Getriebe kommt. Weil das, woran man geglaubt, sich festgehalten hat, wovon man überzeugt war, hinfällig geworden ist. Oder weil man sich selber nicht mehr glaubt, einen nichts mehr hält, man alt und hinfällig wird. Weil einem das Leben entgleitet und aus den Fugen gerät. Die Bibel spricht davon, dass die ganze Schöpfung eine gefallene ist, hinfällig. In der so vieles ins Rutschen kommt.
In dieser Welt braucht es einen neuen, einen anderen, einen heiligen Geist. Der Menschen aufbaut, tröstet, stärkt. Der den Gott auf den Plan ruft, der selber das Leben gelebt, die Angst gespürt, den Tod durchschritten hat. Und es braucht Menschen, die diesen Geist in unser Leben bringen.
Petrus, war so einer. Petra ist so eine. Evangelisch gedacht: heute, am Pfingstfest, werden wir alle von Gott berufen, Petrus und Petra zu sein. Heil und Segen in die Welt zu bringen. Das richtige Wort, den richtigen Ton zu finden, Vertrauen in das Leben zu stärken. Begeistert zu sein.
Das geschieht, oft unscheinbar, unter uns. Wenn wir Menschen, die hingefallen sind, die Hand reichen, sie aufrichten. Wenn wir uns Zeit nehmen, das Ohr schenken, auch wenn da schrille Schreie an unser Ohr dringen. Wenn wir mit und für Menschen beten. Auch um Vergebung. Wenn wir lösen, was gefangen hält, finden und binden, was zusammengehört.
Ich war die letzten zwei Wochen im Urlaub. In den ich tief erfüllt und begeistert gefahren bin. Denn hier, in und um die Friedenskirche, ist am Sonntag so viel Gutes passiert. Einfach heiraten, viele haben davon gehört, viele waren dabei. Da wurde zusammengebunden, mit Gottes Hilfe, was zusammengehört. Da wurde zugehört, da wurden Bilder vom Leben neu gemacht, da wurde gesungen, gelacht, gegessen, getrunken, gefeiert. Das hat mich begeistert und ich habe mich gefreut, selber ein Petrus sein zu dürfen. An diesem Tag.
Ich bin sicher, Sie haben auch solche Momente, in denen Sie Petra oder Petrus sind. Wenn Sie den Blick haben für den Menschen, der ihr gutes Wort, ihr offenes Ohr, ihren Zuspruch baut. Manches Mal gehört da auch dazu, dass wir Menschen auf den Arm nehmen. Damit das Leben leichter werden kann. Oft gehört auch dazu, dass wir Menschen in den Arm nehmen, sie drücken, damit sie loslassen können, das sie drückt und bedrückt. Das ist, weiß Gott, nicht immer einfach – und manches Mal nehme ich Menschen einfach ins Gebet. Damit Gott es lösen kann, oder neu binden kann, was immer nötig ist.
Wir alle dürfen Jesu Zusage für uns beanspruchen: nicht einmal der Todesschattenkann uns überwinden. Denn wir sind Petrus, wir sind Petra. Der Fels, auf den Gott baut. Seine Kirche. Mit seinem Heiligen Geist. Und ich bin sicher: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen. Und werdet seine Zeuginnen und Zeugen sein. In all dem, was auf dieser Welt steht und fällt. Amen.