
Predigt am Sonntag Rogate – Beten lernen (Joh 16, 23-28.33)
Friedenskirche Krefeld, 25. Mai 2025
Ihr Lieben,
Not lehrt beten.
Sagt ein Sprichwort.
Doch meine Erfahrung ist eine andere.
Not macht stumm.
Beten richtet den Blick über sich hinaus auf Gott.
Not wirft mich auf mich selbst zurück.
Im Gebet hoffe ich auf Gottes Macht.
In der Not spüre ich die Ohnmacht.
Ich erinnere mich an eine Situation eindrücklicher ohnmächtiger Stille.
Meine Schwiegermutter lag im Sterben.
Wir kannten die Stunde.
Alles war vorbei.
Das letzte Mal Creme auf die rissige und fahle Haut.
Das letzte Mal Zitronenstäbchen, Wasser und Geschmack in den trockenen Mund.
Das letzte Wort war gesprochen.
Mein Schwiegervater saß neben dem Bett, hielt ihre Hand.
Wollte nicht wahrhaben, was unabänderlich geschieht.
Wollte festhalten, was nicht festzuhalten war.
Die Beziehung. Die Liebe. Das Leben.
Neben dem Bett standen die drei Töchter.
Gemeinsam und einsam zugleich.
Dahinter die Lebenspartner.
Wie verloren.
Im Raum war auch noch eine Rot-Kreuz-Schwester.
Eine Randfigur.
Normalerweise verrinnt uns allen die Zeit.
Tage, Jahre gehen dahin.
Jetzt war es, als ob die Zeit stehen blieb.
Sekunden werden zu Minuten.
Alles geschah in Zeitlupe.
Jeder Atemzug dauerte länger.
Die Zeit zwischen den Atemzügen dehnte sich.
Fast eine Ewigkeit.
Not lehrt beten.
Jetzt wäre die Zeit zum Beten.
Aber das hatten wir nicht gelernt, nicht geübt, nicht gemacht.
Ein Gebet zum Abschied, ein Gebet auf den Weg,
Ein Gebet, das uns noch einmal miteinander verbindet, ein Brückenschlag zwischen Leben und Tod, zwischen Lebendigen und Toten.
Bevor der Lebensatem ausgehaucht ist, bevor der Pulsschlag des Lebens endet, bevor der Lebenskreis geschlossen wurde.
Wir hatten vieles gelernt, geübt, gemacht.
Lachen und Weinen,
pflanzen und ausreißen,
streiten und versöhnen.
Alles hatte seine Zeit gehabt.
Aber beten? Gar gemeinsam beten?
Das hatten wir nicht gelernt, geübt, gemacht.
Dabei wäre doch jetzt das gemeinsame Gebet eine Hilfe, eine Brücke, ein Segen.
Gott ist dein Hirte.
Dir wird nichts mangeln.
Er wird dich in den neuen Frühling begleiten.
Du wirst frisches Wasser trinken.
Seelenruhig wirst du sein.
Gott führt dich auf einen guten Weg. Versprochen.
Noch bist du in der Finsternis.
Doch hab keine Angst:
Gott ist mit dir.
Er tröstet dich.
Alles, was kommt, wird dir schmecken.
Das Glas ist niemals halbleer, sondern immer voll.
Deine Haut glänzt wie die Sonne.
Gutes und Barmherzigkeit werden immer mit dir sein, lebenslang.
Du wirst bei Gott wohnen.
Wir werden uns wiedersehen.
Amen. So ist es. Für dich. Für uns.
Alle im Raum kennen dieses Gebet.
Es wären jetzt lösende, erlösende Worte.
Doch wir bleiben stumm.
Jeder nimmt für sich Abschied, obwohl wir doch alle gemeinsam sind.
Gemeinsam einsam.
Jeder ist mit seiner Ohnmacht allein.
Obwohl doch Gottes mächtige Zusage uns alle eint.
Wir sind alle konfirmiert. Fest im Glauben und der Kirche.
Wir haben es jeder für sich gelernt.
Aber nie miteinander eingeübt.
Geteilt. Verfübar. Jetzt.
Beim Abschied.
Wer hilft unserer Schwachheit auf?
Wir springen einmal ins Johannesevangelium.
Es ist nach den anderen Evangelien geschrieben.
Noch mehr Erfahrungen der jungen, christlichen Gemeinden fließt ein.
Hatten die Christen zuerst gehofft, dass Jesus noch zu Lebzeiten wiederkommt, muss nun der Tod von Christen bedacht und betrauert werden.
Hier herrscht Sprachlosigkeit.
Und Ohnmacht.
„Was sollen wir, in Jesu Namen, angesichts des Todes sagen, was hoffen, was beten?“
Johannes spürt die Not – und lässt Jesus eine Rede zum Abschied halten.
Zu seinem Abschied – aber auch für unsere Abschiede.
Denn eines ist sicher: wir werden alle einmal sterben.
Wie mit einer Lupe wird die Zeit zwischen Verrat und Verhaftung bei Johannes gefüllt.
Jesus lehrt beten, im Angesicht des Todes, angesichts des unabwendbaren Sterben.
Was können wir hoffen?
Was sollen wir sagen?
Wie können wir trösten?
Jesus selbst meldet sich zu Wort, hören wir einfach mal zu:
Ihr seid nun traurig.
Aber ich will euch wiedersehen.
Euer Herz soll sich freuen.
Eure Freude soll niemand von euch nehmen.
An jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.
Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen.
Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Es kommt die Stunde:
an jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen.
Gott, der Vater, hat euch lieb.
Weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen.
Ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Einfühlsam nimmt Jesus wahr, wie es im Angesicht des Todes den Menschen geht, die nun Abschied nehmen müssen. An seinem Abschied macht er fest, was für jeden Abschied fest zu machen ist:
Die Trauer wird benannt.
Die Angst, die Furcht.
Die Sorge, dass mit dem Tod alles aus ist.
Die Lebenslust. Der Lebensfrust.
Sinn und Geschmack dieser Welt.
Die Liebe mit all ihren Schichten.
Die Menschen mit all ihren Sichten.
Das Leben mit all seinen Geschichten.
Im Anfang: das Wort.
Und nun, am Ende: sein Wort.
Sein Wort, dass Trost gibt.
Allen, die an ihn glauben, ihm vertrauen.
Allen, die sich ihm anvertrauen.
Auch im Moment des Abschieds, des Übergangs, des Todes.
„In mir habt ihr Frieden.
Gottes Friede sei mit euch.“
Und im Beten wird dieser Friede wirklich.
Schon heute, mitten in unserer Furcht.
Was könnte es Größeres geben, als dies zu teilen.
Miteinander und füreinander zu beten.
Das ist das größte.
Für das Gebet haben wir sein Wort.
Unser Vater.
Du bist himmlisch.
Zu dir zu beten ist heilsam.
Komm mit deinem Reichtum in unsere Armut,
mit deinem Frieden in unseren Unfrieden,
mit deiner Macht in unsere Ohnmacht.
Lass geschehen, was du für uns und die Welt willst.
Den Frieden. Deinen Frieden.
Nicht nur im Himmel, sondern auch auf unserer Erde.
Lass uns satt werden, Leib und Seele.
Vergib uns unsere Ohnmacht und unseren Kleinglauben.
Wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.
Am Ende bleibt nicht zwischen uns.
Führe uns durch den Todesschatten.
Löse uns von dem Bösen, das uns gefangen hält.
Dir ist alle Kraft gegeben,
deswegen ist es herrlich, dass du für uns bist.
Gott schenke uns Kraft, Mut und Besonnenheit:
Auf dass wir beten.
Heute und alle Tage.
Bis an die Enden der Welt und bis ans Ende der Welt.
Und der Friede Gottes, höher als alle menschliche Vernunft,
bewahrt Herzen und Sinne
in Jesus Christus, unserem Herrn.
Amen.